Mandelring Quartet with Shostakovitch Edition in DIE ZEIT

Nov 27, 2009 News Mandelring Quartet with Shostakovitch Edition in DIE ZEIT

The Complete Edition of Shostakovitch String Quartets with the Mandelring Quartet was reviewed in one of the most important German newspapers: On November 26th DIE ZEIT dedicated a full length article to this special edition!

Unfortunately there was a mistake in the article: All audite productions are distributed in Germany by edel Germany GmbH and NOT by Naxos.


Volker Hagedorn
Die Zeit - 26. November 2009, Nr. 49


Das heimliche Tagebuch
Nirgendwo wird Dmitri Schostakowitsch so persönlich wie in seinen 15 Streichquartetten. Das Mandelring Quartett legt eine eindrucksvolle Gesamtaufnahme vor.

Mit 66 Jahren fing das Leben vielleicht für Udo Jürgens an, aber nicht für Dmitrij Schostakowitsch. Angestrengter hat kein Komponist gelebt. Er war ähnlich schwer zu durchschauen wie die Sowjetunion, in der und gegen die er sein Genie behauptete. Mit 66 hat er gerade seine 15. Sinfonie hinter sich, ist gereist, hat Benjamin Britten in London getroffen und Karlheinz Stockhausens Hymnen in Berlin gehört. Nun ist zu seinen Herzbeschwerden ein Lungenkarzinom gekommen, der Kettenraucher wird bestrahlt, »ich kann mich nicht selbst anziehen oder waschen. Aber gewisse Frühlingsgefühle haben mein Hirn erfasst.« Und wie oft, wenn er zur Ruhe kommt, schreibt er ein Streichquartett, sein vierzehntes. Im Adagio ist das Privateste als Zitat in einer Achtelnote versteckt. Im Gesang der ersten Geige über ruhigen Tönen des Cellos werden über dem Ges kurz und beiläufig die Töne C, E, A angerissen.

Das ist der Tristanakkord, um einen Halbton nach oben versetzt. Das Insignium der Liebe. Wem es gilt? Er verrät es nicht. Klar ist nur, dass diese Passage, das ganze Stück von 1973 auch dem ersten Geiger und dem Cellisten des Moskauer Beethoven-Quartetts huldigt, das fast alle seine Quartette aus der Taufe hob. Nirgendwo sonst ist Schostakowitsch so persönlich wie in seinen Streichquartetten, und selten werden sie so empfindsam, einlässlich, deutlich, aber unplakativ gespielt wie vom Mandelring Quartett. Im Tristan-Adagio stehen sich zwei starke Subjekte gegenüber, die neben dem Bekenntnishaften ihrer Linien auch Sinn für den Raum dazwischen haben. Schostakowitsch ist hier als ein Meister der Aussparung zu entdecken. Er beherrscht seine Sprache so sicher, dass er keine großen Worte machen muss.

Zwischen zwei Silben hört man eine ganze Welt. Diese Welt haben die Mandelrings in aller Ruhe erschlossen. Fünf Jahre lang arbeitete das Quartett an einer Gesamtaufnahme, die es mit neun älteren aufnehmen muss – und neue Einsichten bietet. So unterscheidbar wie übereinstimmend klingen die vier, und dass drei von ihnen Geschwister sind, führt nicht zu flacher Harmonie: Die Geiger Sebastian und Nanette Schmidt, der eine intellektuell, die andere geerdet, der leidenschaftliche Bratscher Roland Glassl, der nüchterne und doch poetische Cellist Bernhard Schmidt tönen wie (mindestens) vier Seelen der multiplen Persönlichkeit Schostakowitsch. Seine Quartette lassen sich hier aber nicht nur als ein Tagebuch aus vier Jahrzehnten hören, sondern auch als Testgelände einer musikalischen Grammatik, deren künstlerischer Kern vor dem ersten Quartett längst voll entwickelt war.

Schostakowitsch hatte mit 32 Jahren schon seine Jahrhundertoper Lady Macbeth von Mzensk und fünf Sinfonien komponiert, als er sich in die dünne Luft des Edelgenres wagte – und sich so ironisch klassizistisch gab, als wolle er sich die Auseinandersetzung mit dem Quartett-Gott Beethoven noch ersparen. Die findet erst im fünften Quartett statt, 1952, unaufführbar unter Stalin. Nach dem Sarkasmus des dritten Quartetts und den Parzellenerkundungen des vierten geht der Komponist hier aufs Ganze. Kein anderes Quartett des Russen ist so wenig intim wie das fünfte, so ausgreifend und »abendländisch«, Die Mandelrings spielen es als welthakigen Entwicklungsroman voller motivischer Arbeit; in den hohen Liegetönen des Finales gelingt ihnen ein Gleißen wie von fernen Horizonten. Umso beeindruckender, dass sie auch dem oft als »rückschrittlich« abgetanen sechsten Quartett danach eine ganz besondere Qualität abgewinnen können.

Es entstand 1956, im Tauwetter nach Stalins Tod, und die Entspannung scheint nach hinten loszugehen, als brauche Schostakowitsch zur Inspiration, eben doch einen Gegner. Aber diese G-Dur-Seligkeit ist kaum zu glauben – unwirkliches Schweben, ein mozartisch transparenter Wachtraum, in dessen höchsten Lagen man die Delikatesse des Primarius Sebastian Schmidt nur bewundern kann. Gerade weil sich das Ensemble sensibel und zart auf alles einlässt, entsteht eine fast unheimliche Idylle, wie eine Erinnerung an ein Glück, das es nie gab. Strenger, heller, härter dann das siebte Quartett, beendet nur vier Monate, ehe Schostakowitsch sich 1960 an sein legendäres und berühmtestes achtes Quartett setzte. Unter Freunden hat er es als ein Requiem für sich selbst bezeichnet – immerhin lautet das erste Thema D, Es, C, H, das sind die Noten für »D. Sch.«.

In geradezu demütiger Kontrapunktik sind sie gesetzt, ins Archaische zurückgehend, mit gleichbleibenden Notenwerten. Auch wenn das Brodsky Quartett dynamische Extreme schärfer spielt und das Sr. Petersburg Quartett anfangs vibratolos wie ein Gambenkonsort klingt – die Mandelrings spielen das so zerbrechlich, durchscheinend wie kein anderes Ensemble. Und im folgenden Allegro molto geben sie einem an jüdische Folklore erinnernden Thema eine so wütende Trauer mit, dass auch das Rasumowsky Quartett (die bislang beste jüngere Gesamtaufnahme) uns daneben eine Aussage schuldig bleibt. Vielleicht ist das achte auch deswegen so populär, weil hier Schostakowitschs Sprache, extrem ichbezogen eingesetzt, sich zugleich objektiviert und bei aller Traditionsbindung (nicht nur an die Tonalität) als völlig eigene erkennbar ist, radikal nicht im Grenzüberschreiten, sondern im Existenziellmachen der Töne.

Mindestens ebenso berühmt verdiente das zwölfte Quartett zu sein, in dem Schostakowitsch sich erstmals offen mit der im Ostblock als volksfern verpönten Zwölftonmusik auseinandersetzt, 50 Jahre nach deren Erfindung und im selben Jahr 1968, in dem er einem Interviewer immerhin gesteht: »Der Gebrauch einzelner Elemente aus diesen komplexen Systemen ist völlig legitim.« Wenn man bedenkt, dass die westliche Avantgarde zu dieser Zeit Schönberg schon weit überholt hat, dass Helmut Lachenmann mit seinen Geräuscherkundungen beginnt, György Ligeti in Continuum mit Interferenzmustern operiert und Klaus Huber in Tenebrae mit vierteltönigen Kanonstrukturen, mag die Äußerung rührend anmuten. In der Sowjetunion ist sie gewagt. Und ihre ästhetische Entsprechung im Quartett ist atemberaubend. Einer Einleitung folgt der mit 20 Minuten längste Quartettsatz des Komponisten, und sein Vokabular scheint auf die Herausforderung gewartet zu haben. Die Dodekafonie, so frei er sie auch einsetzt, schärft seine quartengeprägte Intervallik, seine drängende Rhythmik gewinnt eine abstrakte Dimension, seine Fantasie explodiert, alle Erfindungen haben ihren Platz in glasklarer Architektur. Kalt glühende E-Saiten-Turbulenzen der Geigen, einander überlagernde Sextolenwellen. Mollakkorde eines Kondukts, die, in giftigen Halbtonschritten eiernd, einem abgründig zwölftönigen Cello-Lamento folgen … Wenn das alles so genau, differenziert, intensiv, affektreich wie hier gespielt wird, ist Nummer zwölf eines der Werke, die in jeder Epoche »modern« wirken, weil in ihnen der Sprung ins Neue als absolute, nicht am Fortschrittslineal messbare Qualität lebt.

Darüber kann niemand hinaus, auch Schostakowitsch nicht, der nun gelassenere Grenzerkundungen betreibt, Zitate und Erinnerungen pflegt bis zum eindeutigen Abschied in den sechs (!) Adagios des fünfzehnten Quartetts im Jahr vor seinem Tod 1975. Dass er dabei nicht altersmilde wird, erlebt der Schriftsteller Dschingis Aitmatow bei einem Hauskonzert mit dem vierzehnten Quartett, dem mit dem Tristanakkord. Der Komponist kritisiert die Interpreten, seine Freunde, danach so scharf, dass sie das Ganze noch mal spielen. »Sieh mal an«, denkt Aitmatow, »der liebenswürdige, gütige, schüchterne Schostakowitsch. Bei der Arbeit jedoch ist er der reinste Teufel.« Diesem alten Teufel dürfte die Neuaufnahme sein rares, schräges Lächeln abnötigen: der linke Mundwinkel geschlossen, die Augen hinter der Brille so gut versteckt wie die Bekenntnisse in seiner Musik.



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