Rezension
Pizzicato 11/01 | Rémy Franck | November 1, 2001
Zwei Mahler-Welten
Weiche Weiten zwischen zwei exzellenten Mahler-Interpretationen liegen können, zeigen diese zwei Einspielungen unter Kubelik und Gielen.
In der live im Müncher Herkules-Saal gemachten Aufnahme peitscht Kubelik sein Orchester stringent und fanatisch durch die Symphonie, mit einem dramatischen und spannungsgeladenen 'Straight forward'-Musizieren, das streckenweise einen atemlos ekstatischen Charakter annimmt. Diese Unerbittlichkeit resultiert denn auch in schnellen 74 Minuten, welche die insgesamt sehr packend gespielte Symphonie bei Kubelik dauert, während der bedächtige Gielen ganze 10 Minuten mehr braucht. Ein enormer Unterschied!
Gielen macht natürlich weitaus mehr Musik hörbar als Kubelik und erzielt eine ebenfalls starke und ergreifende, ja sogar Frösteln auslösende Spannung aus der intellektuellen Durchdringung heraus und aus einem überaus nuancierten Spiel.
Das Schicksal schlägt bei Gielen ganz anders zu als bei Kubelik, hintergründiger, schauriger und mit ausladend großer Wucht. Und es reflektiert die Mahler-Musik nachfolgend in Bergs prächtig resalisierten 'Drei Orchesterstücken', die im Anschluss erklingen, vor dem Andante aus Schuberts 10. Symphonie, das Brian Newbould nach den 1978 gefundenen Skizzen Schuberts fertig stellte. Gielen dirigiert den Klagegesang sehr emotional, gefühlsintensiver jedenfalls als Mahlers Sechste und Bergs Orchesterstücke und setzt so einen ergreifenden Schlusspunkt hinter Musik, deren dämonischen Charakter er zwingend umsetzt.